Jerez

Eigentlich kenne ich niemanden, der von einem Besuch in Jerez nicht begeistert gewesen wäre. Beim Flanieren durch die Stadt wird eins schnell klar: Jerez und seine Bewohner haben eine lange Geschichte mit Einflüssen unterschiedlichster Kulturen und auch Widersprüchen durchlebt, was sich heute in einer bunten und energiegeladenen Mischung präsentiert.

Jerez und seine Bewohner haben viele Facetten. Da gibt es natürlich die Einflüsse der Mauren, die 700 Jahre dort herrschten. Das macht sich in Kochrezepten, der Architektur und auch beim Geschäfte-Machen bemerkbar, wofür man oft Geschick,  ein wachsames Auge und eine gewisse Zähigkeit braucht.

Doch auch die ur-andalusischen Traditionen dieses feierfreudigen und geselligen, meist lauten Völkchens halten sich in dieser wirren Mischung der Kulturen über viele Jahrhunderte nahezu unverändert und sind einfach beeindruckend. Die Wallfahrt nach El Rocío in der Provinz Huelva ist wohl eine der Schönsten, dazu habe ich einen ganzen Blog-Artikel verfasst. Aber auch die Semana Santa mit ihren religiös-theatralischen Prozessionen zu Ostern oder die Feria del Caballo, auf der Jerez seine prachtvollen Pferde und seinen Hang zum Bunten zeigt, bestimmen seine Identität. Pferde- und Stierzucht gehören seit Jahrhunderten zu Jerez, was tief in der Latifundien-Tradition wurzelt.

Dann gibt es noch den Flamenco. In Jerez wurden die tragisch-klagenden aber auch fröhlich-scherzhaften Gesänge der Gitanos (Gypsies) geboren, in einer Gesellschaft, in der Armut und harte Arbeit zum Alltag gehörten. In keiner anderen spanischen Stadt leben soviele Gitanos  wie in Jerez, die dort seit langem jedoch perfekt integriert sind und zum Stolz der Stadt gehören. Diese Tradition lebt bis heute fort und seit über 20 Jahren gibt es das wohl wichtigste Flamenco-Festival der Welt, jedes Jahr im Februar und März über die ganze Stadt verstreut.

Doch Jerez ist eigentlich ein Dorf, mit großer ländlicher Tradition. Bis vor 50 Jahren war die Stadt wesentlich kleiner und weniger besiedelt als heute, das Leben fand viel mehr en el campo, auf dem Land statt. Davon zeugen heute noch hunderte von Fincas und Cortijos in den Weinbergen um Jerez, oft verfallen und meistens unbewohnt, doch ihre ehemalige Pracht ist unverkennbar. Erbaut zumeist Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jhd. von wohlhabenden Sherry-Produzenten.

Der Einfluss Großbritanniens ist auch heute noch erkennbar, wenn man sich den Kleidungsstil der Herren und señoritos betrachtet. Die Familien, die im vor 200 Jahren bäuerlichen Jerez ihr Geld mit dem Sherry-Handel nach Großbritannien verdienten, kamen darüber in Kontakt mit dem britischen Großbürgertum und elegantem Lebensstil. Noch heute pflegen die Jerezaner Herren von Rang einen konservativen, mittlerweile altmodischen, englischen Kleidungsstil, mit Einstecktuch, Siegelring, Bügelfalte und viel Pomade im Haar. Die Jerezaner Familien, die es sich leisten konnten, haben zuhause zum Teil bis heute englische Kindermädchen, damit die Kinder ein Englisch mit unverkennbarem Oxford-Akzent lernen. Auch der Einrichtungsstil wohlhabender Familien zeigt die Liebe zu englischen Antiquitäten.

Die Jerezaner sind schon ein liebenswertes Völkchen. Ihr Humor und ihre Gastfreundschaft sind unübertroffen. Sie lieben es, auszugehen. Kneipen, Tavernen und die mittlerweile zahlreichen exquisiten Restaurants sind ihre Wohnzimmer, aber oft auch der beste Ort, um Geschäfte zu machen. Auch der cotilleo, der mehr oder weniger liebenswerte Klatsch, gehört in Jerez zum Volkssport, auch ganz öffentlich. 

Die Jerezaner kleiden sich gerne bunt, die Frauen machen sich gern zurecht und alles Geld wird für den Genuss rausgehauen. Sparen? Von wegen! Das Vertrauen in die Banken und die Politik sind sowieso zu recht zum Teufel gejagt worden. Seit dem Ende der Franco-Diktatur hat Jerez nun die dritte Bürgermeisterin, sie hält sich noch wacker im Amt, auch wenn da nicht alles so läuft, wie erhofft. Resignieren? Ach was, dafür gibt es ja den Humor, den Wein und die vielen Feste.

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