Es ist Weinlese in Jerez

Ich hätte mir doch besser die Sonnencreme und die botos rocieros – geschlossene Stiefeletten – einpacken sollen, als ich morgens in die Weinberge nordwestlich von Jerez aufbrach. Das dachte ich erst, als meine Schultern immer roter wurden und die kleinen Brocken Albariza-Erde in meinen Sandalen zerbröselten. Denn es ist der Beginn der Weinlese in der Sherry-Hochburg Jerez und ich helfe ein paar Tage mit.

Nun hänge ich also etwas verdreht unter dem Laubdach der Reben und suche nach dem Strunk, welcher die großen Trauben mit dem Rebstock verbindet. Das ist oft nicht so einfach, denn die Palomino-Trauben sind üppige und schwere Dolden und wuchern ziemlich um die Stängelchen und Blattansätze herum. Nach einer Weile klappt es besser.

Ich befinde mich auf dem 14 Hektar großen Weinberg der Finca El Ochavico, welcher zur Großlage Los Tercios gehört und auf dem seit 230 Jahren ununterbrochen Traubenanbau betrieben wird.

Der Besitzer heißt Carlos, ist eigentlich Doktor in Jura und doziert an der Uni. Im Moment pausiert er jedoch ein Semester und sitzt gerade auf dem Trecker, um die mit Trauben gefüllte Baggerschaufel in den bereit gestellten Anhänger auf dem Hof auszuleeren. Er betreibt sogenannten „integrierten Weinbau“ und hat die Finca von seinem Vater übernommen.

Mit mir zusammen liest noch eine ganze Truppe von Herren zwischen 20 und Anfang 60, alle stammen aus Jerez und Umgebung. Sie sind jedes Jahr dabei und haben merkbar Routine. Einer von ihnen, der Älteste, heißt Pepe und ist quasi der Alleinunterhalter. In seinem Jerezaner Humor lässt er ordentlich vom Stapel und wird von seinen Kollegen ermahnt, er solle sich doch zügeln, es seien Frauen anwesend. Dennoch lachen alle, ich auch. Während ich noch daran arbeite, die Traube vom Stamm zu trennen hat Pepe mich in der Reihe schon wieder überholt, er ist einfach schneller. 

In diesen Tagen und Wochen erwachen die Weinberge des Marco de Jerez wieder zum Leben. Bei Carlos wird komplett von Hand gelesen. Doch in den letzten Jahrzehnten hat sich viel verändert. Wer das Geld oder einfach eine größere Fläche hat, liest maschinell, wenn er kann. Vorbei sind die Zeiten, in denen die Weinberge und die Lese zum kollektiven Gedächtnis der gesamten Region gehörten und jede Familie mindestens ein Mitglied hatte, welches bei der Lese mithalf. Früher kannten noch alle die Namen der Weinberge und Cortijos und das Leben der Jerezaner, Portuenses und Sanluqueños fand zum großen Teil auf dem campo, dem Land statt. Heute wendet die städtische Gesellschaft dem campo eher den Rücken zu. Wo früher Reben standen befinden sich heute, vor allem im Südosten von Jerez, Straßen und Häuser.

Carlos ist einer von ca. 200 Mitgliedern der Cooperativa Vitivinícola Jerezana Ntra. Sra. de las Angustias (kurz COVIJEREZ). Die Mitglieder dieser größten Kooperative des Marco de Jerez bewirtschaften zusammen 1.000 Hektar Palomino Fino. Der Most der dort gekelterten Trauben wird an Kellereien verkauft, die mehr Wein produzieren als ihre Weinberge hergeben. Die Kooperative selbst stellt allerdings auch eigenen Sherry her. Der dortige Most hat einen guten Ruf und laut Carlos kann man bei ihm von über 80 % Handlese ausgehen, denn die Besitzer der kleinen Flächen haben selten schweres Gerät im Schuppen stehen. Bei den kellereieigenen Weinbergen dagegen geht man umgekehrt besser von 80% maschineller Lese aus.

Bis heute (28.8.2017) sind laut Consejo Regulador  (Kontrollrat) in Jerez 44.487.871 kg gesunde Trauben mit 11,8° Baumé gekeltert worden.

Auch Carlos vermutet dieses Jahr letztendlich eine gute Ernte. Seine Trauben sehen gesund aus und auch sonst war er mit dem Vegetationszyklus sehr zufrieden. Im letzten Jahr hatten sie im Sommer 6 Wochen Levante am Stück. Dadurch war die Zuckerkonzentration sehr hoch und die Gärung kam schwer in Gang.

Am 2.September ist bei Carlos auf dem Hof ein kleines Fest, bei dem in traditionellen Holzbottichen einige Trauben füßisch gestampft werden, um seine beiden 500 Liter-Fässer für den Hausgebrauch zu füllen. Dazu wird der Grill angeschmissen und ein paar Freunde bringen die Gitarre mit. Da bin ich dann leider nicht mehr da, aber durch meine 2 Tage Rebenschneiden habe ich zu den zukünftigen Sherry-Generationen immerhin einen klitzekleinen Beitrag geleistet. Irgendwie eine schöne Vorstellung.